Frauenkopf "brasilianische Eiche" 1991

Dienstag, 31. August 2010

Kunst & Politik



Im letzten Blogpost auf einem der Vernissagefotos steht Sigi Gantenbein mit dem Rücken zur Kamera. Um ihm gerecht zu werden, möchte ich diesen Bildfund aus Johann Ulrich Steigers Schachteln nachschieben. In seinen besten Jahren, mit gewinnendem Lächeln schreitet Sigi Gantenbein in der ersten Reihe, als dritter von rechts, die Flawiler Bahnhofstrasse ab. Der Bildhauer befindet sich ebenfalls im Umzug, in der zweiten Reihe, der erste von links. Mehr als 40 Jahre später wird der frühere Flawiler Bauunternehmer Sigi Gantenbein an der Eröffnung der Ausstellung von Holzbildhauerarbeiten aus dem Nachlass seines Parteifreundes Johann Ulrich Steiger in Schwellbrunn teilnehmen.
Ich kann nur vermuten, um welche Art von Demonstration es sich gehandelt hat. Am ehesten kommt ein Treffen der Untertoggenburger Freisinnigen in Frage. Die Politik war in der damaligen bipolaren Welt noch einfach gestrickt. Auf dem Bild sieht man deutlich, wie sich die Dorfnotablen ihrer Rolle sicher waren und der Bürgerblock noch ungebrochen auftrat , keine SVP-Opposition in Sicht (mal abgesehen vom in Flawil traditionell vorhandenen Kulturkampf zwischen den Konfessionen).Ueli Steiger fand bei ihnen seine politische Heimat. Er sah sich selbst als Unternehmer, der in dieser Partei seine Seilschaften pflegen konnte, was sich dann wirtschaftlich auszahlte. Und für seine FDP-Freunde stellte der Künstler sozusagen den Unternehmer in seiner reinen Form dar: Aus nichts als einem Holzklotz oder Steinblock etwas schaffen und dazu sich andauernd selbst neu erfinden; diese erstaunlichen Talente lebte ihnen Ueli vor.
Fast sicher bin ich über die Urheberschaft der Foto (obwohl auf dem Abzug nichts hinten drauf steht). Sie kann nur der Flawiler Dorffotograf Pius Walliser geknipst haben.

Sonntag, 29. August 2010

Tag X - Eindrücke von der Vernissage

Ornella hält in der von ihrem Grossvater aus Lindenholz geschnitzten Kanzel eine Rede.

Zwei Vernissagegäste in dynamischer Pose.



Fredy Lienhard im Gespräch mit Sigi Gantenbein (mit dem Rücken zur Kamera) und Gattin Doris. Links: Regula Lienhard. Hinten: Paul Kunz, Mitglied des Stftungsrates der Fredy und Regula Lienhard-Stiftung.



Vier Schichten Eichenholz verleimt, zweihundert Kilo wiegt sie mindestens. Die Türe aus dem Haus der Familie Lienhard in Erlen ausgebaut und in einem Lagerraum auf dem Lista-Gelände in Degersheim gelagert, bereichert die Ausstellung.



Elsbeth Aegerter, die Präsidentin der Schwellbrunner Kulturkommission begrüsst die Gäste.


Hans Toggenburger führt in die Ausstellung ein.

Die Vernissagegäste in der ehemaligen Post in Schwellbrunn lauschen den Ausführungen des Redners.

Mittwoch, 25. August 2010

Reformpädagogik in Burgau

Die junge Frau mit den Kindern hiess Margrith Kunz und war Lehrerin in Burgau. Das Bild, auf dem sie mit ihrer Klasse posiert, nahm ein unbekannter Fotograf 1927 an der Glatt in der Nähe der Eisenbahnbrücke auf. Ich fand die Fotografie als Augustblatt im Kalender für 2004 des Ortsmuseums Flawil und stutzte. Mein Vater Johann Ulrich Steiger ging auch in Burgau zur Schule, mit seinem Geburtsjahr 1920 könnte er eines der Kinder sein.

Ich zeigte das Kalenderblatt meinem Vater und der etwas grimmig dreinschauende Knabe rechts aussen in der oberen Reihe ist tatsächlich der kleine Ueli. Vater beschrieb mir einmal die Weiler Burgau und Oberglatt als die damaligen Slums von Flawil. Den knapp zwanzig Kindern steht offensichtlich die Armut ins Gesicht geschrieben. Es herrschte Wirtschftskrise. Der Familie des kleinen Ueli ging es da noch verhältnismässig gut. Grossvater arbeitete als Wegmacher und bewirtschaftete ein kleines Heimet und Grossmutter stickte in Heimarbeit, wie es sich für eine Innerrhoderin gehörte, habe ich erfahren. Meine Grosseltern väterlicherseits starben beide vor meiner Zeit.

Die Legende der Fotografie im Ortsmuseumskalender besagt nur ganz kurz: "Schüler von Burgau an der Glatt 1927". Dank der Auskunft meines Vaters weiss ich etwas mehr über diese sympatischen Lehrerin, die mit ihren ausgemergelten SchülerInnen raus aus der Schulstube an die Sonne ging,und mit der Klasse zeichnete und modellierte. Der Lehrerkollege von Fräulein Kunz im Schulhaus Burgau hiess Aeberli. Auch er war Anhänger der Reformpädagogik (vielleicht stammt ja die Aufnahme der Erstklässler an der Glatt von ihm). Margrith Kunz ging später nach St.Gallen.

Johann Ulrich Steigers lebenslange Obsession für die Bildhauerei wurde in den Schulstunden bei der fortschrittlichen Lehrerin Margrith Kunz in der Flawiler Aussenschule Burgau geweckt, was er mir gegenüber mehrfach betonte. Er wäre heute 90 Jahre alt geworden.

Sonntag, 22. August 2010

Die Familie, ein Holzschnitt


Mit diesem Holzschnitt stellte J.U.Steiger die Familie, in der er aufwuchs, dar. Mutter Rosa Moser umarmt seine beiden Halbbrüder aus erster Ehe. Rechts der überaus kräftige Vater, der ebenfalls den Namen Johann Ulrich Steiger trug, mit den Geschwistern des Künstlers. Der sitzt etwas abseits mit einem Buch am Boden.
Die Szenerie zeigt Oberglatt ausserhalb Flawil. Gut erkennbar ist die Kirche. Auch die mäandrierende Glatt weist unverwechselbar auf den Ort an der Grenze vom Fürstenland zum Toggenburg. Hier verbrachte Ueli seine Jugendjahre. Später zog die Familie hinauf zum Weiler Alterschwil , darauf deutet das Haus rechts oberhalb der Kirche hin.

Samstag, 21. August 2010

Der Rand kommt ins Zentrum



Schwellbrunn besitzt eine Vorder- und eine Hinterseite. Vorne steht in seiner vollen Grösse das Säntismassiv. Hinten - gegen Norden - befindet sich das Labyrinth von Töbelchen des Sägenbachbezirks. Wir wohnen mitten da drin am Abhang des Erzenberg, zwischen Rippistal und Hinterer Au.Die Fotos entstanden im März, sie zeigen die Landschaft von der Risi aus.

Als Jasmin und ich im Betreuungszentrum Risi die gerahmten Holzschnitte in den Keller bringen wollten, trat Mark Schwyter noch schnell durch die sich schliessende Türe in den Lift. Mark amtet in Schwellbrunn als Pfarrer, wir treffen uns regelmässig in der Männergruppe. "Euch sieht man zur Zeit überall in Schwellbrunn", sagte er. Das stimmt: Unser weisser Pick-up kommt sonst eher selten ins Dorf. Aber jetzt in der Aufbauphase der Johann Ulrich Steiger-Ausstellung ist das anders. Vollbeladen mit Kunst befahren wir die Dorfstrasse als weisser Ritter der Kulturkommission.

Als Rand-Bewohner der Gemeinde mischen wir uns für einmal ein im Dorf. Heute am Freitag 20. August richteten wir zuerst mit Röbi Waldburger zusammen im Schaufenster seiner Möbelfabrikation einen Herrgottswinkel ein, dann brachten wir ein Ölbild, einen Holzschnitt samt Druckstock und eine Kleinbronze zum Thema Partnerbeziehung ins Kulturhaus Rank und besprachen mit Elisabeth Beeli die Platzierung der zwei Monumentalskulpturen aus Lindenholz, die wir noch nachliefern.

Ein Besuch bei der Präsidentin der Kulturkommission, Elsbeth Aegerter, in ihrem Haus im Dorf gleich neben dem "Kreuz" stand auch noch an. Wir mussten unsere Daten abgleichen. Schliesslich bewegen wir von der Kulturkommission uns alle mit der Projektgrösse der Holzbildhauerei-Ausstellung auf Neuland. Klar gab es Fehler, aber eigentlich klappte die Sache bis jetzt erstaunlich gut. Elsbeth kennt die Gepflogenheiten der Dörfler. Als Bewohner eines Einödhofes draussen am Rand der Gemeinde würde ich mich ohne sie wohl eins ums andere Mal daneben benehmen.

Zuletzt kurvten wir mit dem Defender in die Risi hinauf, um mit dem Zentrums-Leiter Andrea Lepore die Bilderhängung dort zu besprechen. Bei Schwyters im Dorf werden wir nächsten Mittwoch zwei Holzreliefs montieren. Mark konnten wir gleich im Lift über den Zeitpunkt unseres Kommens informieren. 19 Ausstellungsorte brauchen einiges an Logistik.

Samstag, 14. August 2010

Die Gupfengasse


Ford Zodiak, Austin Cambridge, Opel Olympia. Die Markennamen unserer Autos klingen mir noch immer in den Ohren. Auf dem Bild im Hintergrund ist der weinrote Morris Minor parkiert. Wir befinden uns in der Gupfengasse im Flawiler Dorfzentrum. Wir schreiben das Jahr 1955.

Warum ich das so genau weiss? Das Kind auf dem Bild bin ich. Geknipst hat mich der Konditormeister Schrepfer, der seinen Laden im Vordergrund rechts hatte. Er muss ein begnadeter Hobby-Fotograf gewesen sein. Wen er da fotografiert hatte,wusste er noch genau, als er kurz vor seinem Tod in den 90er Jahren das Bild vorbeibrachte.

Die Aufnahme ist hervorragend komponiert. Das kann nicht zufällig zustande gekommen sein. Vielleicht wies mich Schrepfer sogar an, mit dem Leiterwägelchen diese Strecke abzugehen. Jedenfalls erweckt die Foto eine untergegangene Welt zum Leben: Ein Frühsommer-Nachmittag in den Fünfziger Jahren, die Gupfengasse ersteht hier nochmals mit dem "Bären", der längst abgerissen und dem Verkehr geopfert ist.

Gleich dahinter befand sich -nicht sichtbar im Bild- Vaters Holzschnitzerei mit der Kunststube im Parterre. Oben im Bild sieht man das Schuhgeschäft von Jacques Müllhaupt, der im Laden einen Apparat stehen hatte, mit dem er die Füsse röntgen konnte, um die Schuhe perfekt anzupassen. Gewohnt hatte unsere Familie im Haus links des Morris bis Ueli Steiger 1960 die ehemalige Stickereifabrik an der Degersheimerstrasse 2 erwerben konnte.

Donnerstag, 12. August 2010

Ford Zodiak


Der Wassereinbruch von der Erstaugustnacht im Kellerdepot unter der Waldau ist nun wieder behoben. Im Nachhinein hatte er auch sein Gutes. Er zwang mich, einmal den Inhalt einiger Schachteln etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Beim Sortieren des nur zum Teil nass gewordenen Materials stiess ich auf einige bemerkenswerte Bilder wie die Fotografie des Ford Zodiak mit Anhänger.

Das Auto ist vollbeladen mit Kunstwerken für eine Ausstellung von Johann Ulrich Steiger. Auf den Hintersitzen erkennt man die Rahmen von Ölbildern, auf dem Dachträger sind Podeste für Kleinskulpturen festgezurrt und -aus heutiger verkehrspolizeilicher Sicht- verwegen liegt eine monumentale Wurzelfigur auf dem Anhänger. Das undatierte Bild stammt vermutlich von Mitte der Sechziger Jahre. Der Ort lässt sich (noch) nicht genau bestimmen.

Mittwoch, 11. August 2010

Schwellbrunner Reminiszenz


Regelmässig fuhr J.U.Steiger mit fertigen Arbeiten im Auto von Flawil nach Schwellbrunn. Im Angebot der Möbelschreinerei von Robert Waldburger waren lange Zeit mit Schnitzereien aus seiner Werkstatt verzierte Möbelteile ein fester Bestandteil.

Die Fotographie fand ich an der Wand im Büro neben der Holzwerkstatt im Haus an der Degersheimerstrasse 2 in Flawil. Sie muss sehr lange da gehangen haben, die Farben sind schon ganz verschossen. Das Datum des Entwicklungslabors auf der Rückseite ist November 1972. Ich vermute, die Aufnahme stammt von J.U.Steiger selbst. Die Foto zeigt die einzigartige Lage des Hügeldorfes mit der Möbelschreinerei Waldburger im Vordergrund.

Sonntag, 8. August 2010

Die Flawiler Kunststube


In der Nacht vom 1.August 2010 ging über Flawil ein Gewitter mit aussergewöhnlichen Regenmengen nieder. Die Kanalisation schluckte die Wassermassen nicht mehr. Keller standen unter Wasser. So brach Wasser in den Raum unter der Fabrikliegenschaft Waldau. Hier im Gebäude der ehemaligen Weberei Habis mieteten wir für den künstlerischen Nachlass unseres Vaters ein Abteil. Zeitweise stand das Wasser fusstief in dieser Ecke der Unterkellerung. Wohlwissend, dass mit einem derartigen Ereignis zu rechnen ist, hatten wir alles auf Paletten gestellt.

Nicht ganz alles. Bei einem der letzten Transporte in das Kellerdepot pressierte es und einige Schachteln kamen deshalb direkt auf den Boden zu liegen und beim Ereignis in der Erst-August-Nacht in Kontakt mit dem Wasser. In einem Notfalleinsatz holten wir, Jasmin Siegrist, Ornella und ich, unverzüglich das nasse Archivmaterial zum Sortieren und wenn möglich auch zum wieder Trocknen herauf.

Die Bezeichnung "Archiv" trifft die Situation im Lager unter der Waldau eher schlecht. Das ganze Johann Ulrich Steiger-Nachlass-Material ist völlig ungeordnet. Mir ging es nach Vaters Tod erst mal nur um die Sicherstellung. Eine Auswertung und eigentliche Archivierung all dieser Briefe, Fotos, Zeitungsausschnitte, die mein Vater in unzähligen Schachteln, Albums und Ordnern abgelegt hatte, übersteigt meine Möglichkeiten bei weitem.

Beim Sortieren einer der nass gewordenen Schachteln, stiess ich auf das verloren geglaubte Foto der Belegschaft der Holzbildhauerei von 1945 vor dem heute nicht mehr existierenden Gebäude am Bärenplatz im Flawiler Dorfzentrum. Es handelte sich zwar um eine eher schlechte Kopie der zur Zeit unauffindbaren Aufnahme, aber da das Bild sehr aussagekräftig ist, freute mich der Fund ausserordentlich.

Links aussen mit den Händen im Hosensack: Der junge Chef. Beim dritten von rechts mit Bart erkenne ich Anton Weibel, den langjährigen Mitarbeiter in der Holzbildhauerabteilung von Joh.Ulrich Steigers Kunstwerkstatt.

Donnerstag, 5. August 2010

Das Holz-Blog

Manche Blogger sehen sich als die Avantgarde einer papierlosen Zukunft.
Sie pflegen einen verbissenen Hass auf die sogenannten Holzmedien. Dort machen diese Blogger ihre Gegner aus: Die grausamen "Bäumetöter" holzen ganze Wälder ab (die zwar wieder nachwachsen) für ihre Zeitungen und Zeitschriften aus Papier.

Holzbildhauer sind demnach Verwandte der Vertreter der Holzmedien. Auch sie töten Bäume, wenn man so will. Insofern müsste so ein Holzbildhauer-Blog aus der Sicht der oben geschilderten Sorte von Bloggern etwas widersinniges an sich haben: Umwelt schonendes, elektronisches Medium stellt sich in den Dienst des Bäume killenden Erzfeindes.

Aber keine Angst, beim Holzbildhauer-Blog handelt es sich nur um ein befristetes Projekt. Während der Ausstellungsdauer vom 28. August bis 3. September dient das Johann Ulrich Steiger Ausstellungs-Blog als Service-Leistung, danach wird es wieder eingestellt.

Sonntag, 1. August 2010

Eine Ausstellung zum Neunzigsten


Es war Pfingsten vor zwei Jahren. Eine Sturmfront hatte die Schweiz überquert. Die Welt war in ein seltsam klares Licht getaucht, als J.U.Steiger im WPH Flawil in seinem achtundachzigsten Lebensjahr an Nierenversagen starb. Er hegte noch Pläne. Eine Ausstellung wollte er nochmals einrichten, nochmals mit allem, was er in seinem langen Künstlerleben je produzierte, mit Skulpturen, Plastiken, Reliefs, Zeichnungen, Gemälde und Grafiken auffahren. Ähnlich umfangreich sollte es daher kommen wie im Jahr 2000, als er im Kreis der Dorfbewohner in der Flawiler Reithalle seinen Achzigsten feiern durfte.

Am 25. August 2010 hätte die Schau in der Glatthalde in Flawil ihre Tore öffnen sollen. Aber die von J.U.Steiger gewünschte Ausstellung ist ohne seine Präsenz nicht realisierbar. Dafür findet in Schwellbrunn an neunzehn verschiedenen Orten im Dorf eine grosse Präsentation ausschliesslich von Holzbildhauerarbeiten des begnadeten Holzschnitzers statt.

Zu Schwellbrunn besass der Künstler enge Beziehungen. Johann Ulrich Steiger kam gerne zu Besuch auf die Äscherwis, dem Zuhause der Familie eines seiner Söhne (dem Schreiber dieser Zeilen), zumindest solange der steile Weg zum Haus hinauf für ihn beschwerdefrei zu bewältigen war.