Frauenkopf "brasilianische Eiche" 1991

Montag, 4. Oktober 2010

Im Nachtexpress

This is the End. Gestern schloss die Ausstellung von Schnitzereikunst des Holzbildhauers Johann Ulrich Steiger. Wir von der Kulturkommission sind am Zusammenräumen der Kunstwerke im Dorf und in der Post-Galerie. 19 Ausstellungsorte gilt es abzubauen. Nicht ganz: Gabi Brunner mit ihrem Schaufenster im Dorf und das Betreuungszentrum Risi verlängern ihren Teil bis in den November hinein, das Eichenholzrelief "Dorfleben" im Mehrzweckgebäude hängt sowieso an seinem festen Platz, der Herrgottswinkel bei Röbi Waldburger bleibt noch bis Ende Woche.

Die Polaroidaufnahme kam mir im Büro neben der Holzbildhauerwerkstatt in die Finger. Ueli Steiger im italienischen Nachtexpress. Penetrant hängt ihm das Flawiler Urgestein an. Falsch, Ueli verfügte schon immer über eine ausgeprägte Italianità: Da stickte schon die Innerrhoder Grossmutter im Vatikan Messgewänder, er machte seine Lehre beim Naturalisten Emilio Righetti und zum Schluss bekam er noch die italienische Ehrenstaatsbürgerschaft verliehen.

Es muss in den 90ern gewesen sein. Das Brillenmodell ist heute wieder voll im Trend. Als Uelis Reisegefährte auf den Auslöser drückte und die Polaroidkamera das Bild ausstiess, war er auf dem Weg in die Toscana zum Cupo, dem Weingut seines Freundes Paolo Schoop. Hatte er Schnitzmesser und Knüpfel im Gepäck? Im Schaufenster von Oettlis Dorfladen waren während der Ausstellung Grossfotografien von den sechs Eichenfässern ausgestellt, die er für den Gutsbesitzer mit Bildschnitzereien ausgeschmückt hatte.

Ich gab acht, im Holzbildhauer-Blog, das ich mit diesem Post abschliesse, nur Themen aus Leben und holzbildhauerischem Werk meines Vaters Johann Ulrich Steiger aufzugreifen. Da gehört die Geschichte, wie er zur italienischen Ehrenstaatsbürgerschaft kam, nicht in erster Priorität dazu, sorry.

Sonntag, 26. September 2010

Joh. Ulrich Steiger (1888 - 1942)



24 Jahre alt war der Vater des Holzbildhauers, als er für dieses Bild posierte. Die Aufnahme entstand am zweiten Schweizerischen Athletenverbandsfest vom 1. und 2. Juni 1912 in St.Gallen. Joh. Ulrich Steiger vom Friedensthal bei Oberglatt holte sich hier den 6. Kranz. Wenig später reiste er über den Atlantik, um auf Ellis Island vor New York das Einreiseprozedere für die USA zum ersten Mal über sich ergehen zu lassen. Er sollte um 1920 herum den selben Weg nochmals gehen.

Nach der Rückkehr von seiner ersten Amerikafahrt lernte der kräftige Bursche in Appenzell Rosa Moser kennen, die frisch geschiedene Mutter zweier Buben. Sie war von ihm schwanger, als er wieder im fernen Amerika verschwand. Lange war es nicht klar, ob er je zurück kommt und seinen Vaterpflichten nachgehen wird. Er kam. Aber es dauerte zwei Jahre, bis Joh. Ulrich Steiger seinen Sohn gleichen Namens zum ersten Mal sah.

Gerüchteweise hatte ich von diesem Buch schon gehört, schliesslich fand ich es im Angebot eines deutschen Antiquariates. "Anthropologische Untersuchungen im Bezirk Untertoggenburg", die Dissertation von Ernst C. Büchi, begutachtet von Professor Dr. O. Schlaginhaufen von 1942 passt nahtlos in die Rassenideologie des Nationalsozialismus.



Mein Grossvater Joh. Ulrich Steiger stellte sich zusammen mit ein paar hundert weiteren UntertoggenburgerInnen für die anthropologischen Vermessungen des Bruders des Flawiler Metzgers Büchi zur Verfügung. Sein ausgewähltes Porträt samt Körpermassen finden sich anonym in der Rassenuntersuchung wieder. Mein Vater bestätigte mir, dass es sich beim Abgebildeten um den Grossvater handelt.

Ernst C. Büchi kam nach seiner umfangreichen Vermessungsarbeit bei den Männern auf 25,7% des von ihm hauptsächlich festgestellten alpinen Typus. Bei den Frauen waren es 26,9%. Die mediterrane Rasse machte bei den Männern 5,8%, bei den Frauen 4,5% aus. Enttäuscht war der Doktorand über das seltene Vorkommen der nordischen Rasse: "Zieht man die Grenzen nicht zu streng und rechnet auch Braunhaarige ein, so können 4,1% der Männer und 4,5% der Frauen als nordisch bezeichnet werden."

Samstag, 25. September 2010

Rosa Moser



Sie starb 1945 im Alter von 55 Jahren. Das Sticken am Maschinenstock, das Ruhigsitzen tage-, wochen-, jahrzehntelang wurde ihr schliesslich zum Verhängnis. Dem Angebot an Süsswaren des Bäckerei-Hausierers mit dem Tragkorb auf dem Rücken konnte sie nicht wiederstehen. Sie litt an Diabetes und musste sich zuletzt ein Bein amputieren lassen. Rosa, meine Grossmutter väterlicherseits, die acht Jahre vor meiner Geburt starb.

Rosa war das zehnte von 17 Kindern von "Chemiföber" und Wirt Seppetoni Moser und der Emilie Hautle. Ihre Mutter hielt sie von klein auf zum Sticken an, ausserdem hatte sie die Gäste im Restaurant Stossplatz zu bedienen. Dieses stand am Rand zum Ried, dem Armenviertel von Appenzell. Da warf der Viehhändler Marti aus Oberegg ein Auge auf das hübsche Mädchen. Die Eltern sahen wohl eine gute Partie in der Verbindung. Rosa heiratete den Marti, der sich aber als untreu erwies. Im eigenen Ehebett soll er sich mit fremden Frauen vergnügt haben.

Die Katholikin liess sich vom windigen Viehändler scheiden. Die zwei Söhne, Theo und Josef, blieben in ihrer Obhut. Dann trat 1919 ein wandernder Holzfäller aus dem Untertoggenburg in Rosa Mosers Leben, ein Protestant, mein Grossvater.

Dienstag, 21. September 2010

Die Seppelis


Woher er die Photographie hatte, weiss ich nicht genau. Ich vermute, dass er die Kopie einer Orginalaufnahme aus der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert in Appenzell erhalten haben muss. Jedenfalls zeigte mir mein Vater das Bild vor nicht allzu langer Zeit einmal und soeben fand ich es wieder beim Aufräumen im kleinen Büro neben der Holzbildhauerwerkstatt an der Degersheimerstrasse, dem einzigen Raum im Haus, der noch unverändert ist, wie ihn Vater hinterlassen hat.

Auf dem Bild ist die Familie seiner Innerrhoder Mutter Rosa Moser abgebildet. Wenn ich mich nicht täusche, ist Rosa das kleine Mädchen vorne links. Der Mann mit Bart heisst Josef Anton Moser und dürfte der Begründer des Familienspitznamens der Seppelis gewesen sein. Er war Kaminfeger und Wirt im Restaurant Stossplatz. Rechts aussen mit einem Buch in der Hand sitzt seine Frau Emilie, geborene Hautle. Sie war in ihren Jugendjahren als Handstickerin beim Vatikan angestellt. Vater behauptete, dass sein künstlerisches Gen von der Familie Hautle her komme. Als Beleg dienten ihm unter anderem ein Hafnermeister Hautle, der beeindruckende Schneeskulpturen schuf, und Sybille Neff, die kürzlich verstorbenen Innerrhoder Künstlerin, die auch von den Hautles abstammte.

Ein Porträt des bärtigen Seppetoni Moser, dem Seppeli-Patriarchen, hing in unserer Stube. Es handelte sich um eine Ölskizze vom alten Liner und war die Studie für eine Figur in einem Kirchenwandbild, das Liner in einer Stadt St.Galler Kirche (Neudorf?) realisierte.

Achilles Weishaupt schrieb in der Appenzellerzeitung über die Appenzeller Wurzeln von Johann Ulrich Steiger:

Laut seinem Eintrag im Geburtsregister kam er am 25. August 1920 in Rinkenbach um 9.45 Uhr zur Welt. Seine Mutter Katharina Rosa (1891 – 1945) war das zehnte von 17 Kindern des Josef Anton Moser (1854 – 1924) und der Josefa Emilia Moser geb. Hautle (1859 – 1928).

Johann Ulrich Steiger entstammte einer gemischten Ehe. Die katholische Mutter war in erster Ehe geschieden. Das hat man hierzulande in der Gesellschaft noch lange nicht gerne gesehen. Dies war mithin auch ein Grund, weshalb das «Heidenkind» nach langem Hin und Her erst am 12. Juni 1921 in der reformierten Kirche getauft werden konnte.

Zur Zeit seiner Geburt hatte sich der Vater als Holzfäller in Monticello im US-Staat Wisconsin betätigt.

Sonntag, 19. September 2010

Der Künstler und seine Ehefrau



Aufnahmen: W.Bachmann, Wattwil

Wir schreiben das Jahr 1964. Die neue protestantische Kirche von St.Peterzell steht kurz vor der Vollendung. Johann Ulrich Steiger und seine Frau Idel beobachten das Flugmanöver des Helikopters, der den Turmhahn in Position bringt. J.U.Steiger erhielt beim St.Peterzeller Kirchenbau per Mandat die Gelegenheit zur Realisierung des gesamten künstlerischen Schmucks. Das umfasste den Turmhahn, den Brunnen auf dem Kirchhof, das Eingangsportal, Kanzel, Abendmaltisch, Taufstein und Jahre später kamen noch die Kirchenfenster dazu.

Die Arbeiten waren gelungen, entsprachen dem Zeitgeschmack und waren stilsicher. St.Peterzell löste eine grosse Zahl von Folgeaufträgen aus und positionierte den Künstler im Raum Ostschweiz als bedeutenden Kirchenausstatter. In der Schwellbrunner Holzbildhauerei-Ausstellung nimmt das in Eichenholz geschnitzte Portal von St.Peterzell eine besondere Stellung ein. In der Post-Galerie ist das Modell des Portals und in der Kirche sind die Entwurfszeichnungen zu den Figuren ausgestellt.

Im Kontrast zu den anderen Zuschauern geben der Künstler in seinem Manchesteranzug und seine elegante Ehefrau Idel Steiger-Mittelholzer eine für die ländliche Gegend direkt mondäne Erscheinung ab.

Donnerstag, 9. September 2010

Tag des Feuers

Aufnahme: E. Grubenmann, Appenzell

Zum heutigen Tag des Feuers in der Schule Sommertal

Die Statue des St.Florian schuf J.U.Steiger 1966 zum hundertjährigen Jubiläum des freiwilligen Rettungskorps Appenzell. Material: Eichenholz, Grösse: ca. 60 x 15 x 15 cm

Dienstag, 7. September 2010

Dorf 62

Max Beeler erlaubt hier einen Blick in sein Haus in Schwellbrunn. Die Schilde aus der Holzschnitzerei Steiger finden sich wohl noch in vielen Stuben. So leicht hängt man ein derartiges Ehrengeschenk nicht ab, gerade auch wenn es ein Familienangehöriger aus der vorigen Generation für besondere Verdienste erhalten hat.



Die Aufnahme entstand ca. 1961 vor dem Haus Degersheimerstrasse 2 in Flawil. Von links: Der Holzschnitzer Anton Weibel, unbekannte Person, J.U.Steiger, zwei Lehrlinge.

Natürlich konnte Johann Ulrich Steiger die vielen kunsthandwerklichen Produkte, die aus seiner Werkstatt kamen, unmöglich selbst herstellen. Er holte die Aufträge herein, entwarf die Sujets und überwachte die Ausführung.
Fast 40 Jahre lang schnitzte sein Angestellter Anton Weibel (1917 - 2002) Schilde, Möbel und was es sonst noch so gab. Für uns Steiger-Kinder war er das Faktotum "Herr Weibel", die Seele der Holzwerkstatt. Er wohnte in einem Häuschen im Ortskern von Burgau. Mit seinem Bart hatte er etwas Mönchisches an sich; sowieso war er der Katholik in unserem protestantischen Haus. Anton Weibel blieb zeitlebens Junggeselle. In den Sommerferien stieg er jeweils mit Schnitzmessern und Knüpfel im Rucksack auf die Meglisalp hinauf. Dort gestaltete er aus totem Holz Wurzelfiguren, die er am Ort stehen liess.